Mit Urteil vom 14.07.2010 (AZ.: VIII ZR 45/09) hatte der Bundesgerichtshof über die Frage der Haftung des Vermieters bei eigenmächtiger Wohnungsräumung zu entscheiden, so die auf Mietrecht spezialisierte Rechtsanwältin Ilona Reichert aus Baden-Baden.


Der Mieter und Kläger war ab dem 19. Februar 2005 für mehrere Monate mit unbekanntem Aufenthaltsort abwesend. Als seine Verwandten ihn als vermisst meldeten, wurde seine Wohnung am 23. Februar 2005 auf polizeiliche Anordnung geöffnet und am 18. März 2005 noch einmal von der Polizei durchsucht. Nachdem die Mieten für die Monate März und April 2005 nicht gezahlt worden waren und auch sie den Aufenthalt des Klägers nicht hatte in Erfahrung bringen können, kündigte die über die polizeiliche Durchsuchung informierte Vermieterin und Beklagte das Mietverhältnis am 20. April 2005 durch Einwurf des Kündigungsschreibens in den Wohnungsbriefkasten des Mieters fristlos. Eine Räumungsklage erhob sie nicht. Sie öffnete vielmehr die Wohnung und nahm sie in Besitz. Einen Teil der vorgefundenen Sachen lagerte die Vermieterin bei sich ein, einen Teil der Wohnungseinrichtung entsorgte sie. Nach seiner Rückkehr verlangte der Mieter Schadensersatz von rund 62.000 € zuzüglich der ihm entstandenen Gutachterkosten für ihm – nach seiner Behauptung – im Zuge der Räumung abhanden gekommener oder beschädigter Gegenstände. Das Amtsgericht und das Landgericht wiesen die Klage ab. Der Mieter habe die Schadenshöhe nicht bewiesen. Es fehlten für eine vom Gericht vorzunehmende Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO die erforderlichen Schätzungsgrundlagen.

Die Revision des Mieters war erfolgreich. Der Bundesgerichtshof entschied, dass die Vermieterin zum Schadensersatz des dem Mieter entstandenen Schadens verpflichtet ist. Die nicht durch einen gerichtlichen Titel gedeckte eigenmächtige Inbesitznahme einer Wohnung und deren eigenmächtiges Ausräumen durch die Vermieterin stellten eine verbotene Eigenmacht und zugleich eine unerlaubte Selbsthilfe gemäß § 229 BGB dar, jedenfalls solange, wie der Mieter seinen an der Wohnung bestehenden Besitz nicht erkennbar aufgegeben hat. Dies gelte selbst dann, wenn der gegenwärtige Aufenthaltsort des Mieters unbekannt und ein vertragliches Besitzrecht des Mieters infolge Kündigung entfallen sei. Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass ein Vermieter auch in diesen Fällen verpflichtet sei, sich – ggf. nach öffentlicher Zustellung der Räumungsklage – einen Räumungstitel zu beschaffen und nur aus diesem vorzugehen. Wenn ein Vermieter stattdessen im Wege einer sog. „kalten“ Räumung eine verbotene Selbsthilfe ausübt, haftet er gemäß § 231 BGB verschuldensunabhängig für die Folgen einer solchen Räumung. Er kann sich nicht darauf berufen, sich über den Umfang und die Voraussetzungen seines Selbsthilferechts geirrt zu haben.

Von dieser Schadensersatzpflicht ist vor allem die eigenmächtige Entsorgung des in Besitz genommenen Hausrats und der sonst in der Wohnung vorgefundenen Gegenstände erfasst. Denn den Vermieter trifft nach Auffassung des Bundesgerichtshofs mit seiner Inbesitznahme eine Obhutspflicht, die einer Entsorgung grundsätzlich entgegensteht. Zu den Obhutspflichten des Vermieters bei Inbesitznahme der Wohnung und der darin befindlichen Gegenstände gehört auch die Pflicht, die Interessen des durch Ortsabwesenheit und mangelnde Kenntnis von der Inbesitznahme an einer eigenen Interessenwahrnehmung verhinderten Mieters zu wahren. Der Vermieter hat nicht nur dafür Sorge zu tragen, dass an den Gegenständen während der Dauer seiner Obhut keine Beschädigungen eintreten, er muss vielmehr schon bei Inbesitznahme ein Bestandsverzeichnis aufstellen und den Wert der darin aufgenommenen Gegenstände feststellen, um dem Mieter eine Sicherung seiner Ansprüche zu ermöglichen. Kommt der Vermieter dieser Pflicht nicht in ausreichendem Maße nach, muss er die Behauptung des Mieters widerlegen, dass bestimmte Gegenstände bei der Räumung beschädigt wurden oder abhanden gekommen sind und er muss beweisen, dass sie einen geringeren Wert hatten, als vom Mieter behauptet. Dies hat das Landgericht übersehen und dem Mieter rechtsirrig die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich Bestand und Zustand der in der geräumten Wohnung vorhandenen Gegenstände auferlegt.

Der Bundesgerichtshof stellte darüber hinaus fest, dass im Rahmen der Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO die rechtlichen Anforderungen an die Vornahme einer solchen Schätzung nicht überspannt werden dürfen. Stehe der geltend gemachte Schadensersatzanspruch dem Grunde nach fest und sei nur seine Höhe fraglich, dürfe die Klage grundsätzlich nicht vollständig abgewiesen werden. Das Gericht muss vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen beurteilen, ob nicht wenigstens die Schätzung eines Mindestschadens möglich ist und darf eine solche Schätzung erst dann unterlassen, wenn sie mangels jeglicher konkreter Anhaltspunkte völlig in der Luft hinge und somit willkürlich wäre. Dies ist im zu entscheidenden Fall nicht geschehen. Der Bundesgerichtshof hat die Sache daher an das Landgericht zurückverwiesen, damit die erforderlichen Feststellungen zum Bestand und zum Wert der bei der Wohnungsräumung dem Kläger verloren gegangenen oder beschädigten Gegenstände getroffen werden können.